Dienstag, 23. April 2013

Hoch oben auf dem Berg

Ich wollte mal meine Stimmung nach einer anstrengenden Bergtour im Hochgebirge sprachlich einfangen. Hier der Text, mal ohne Bilder:

Die Spagetti zum Abendessen haben mir gut getan. Ich bin satt und voller Zufriedenheit, umgeben von innerer und tiefer Ruhe. Die lange und anstrengende Bergtour hat sämtliche sportlichen Energien verbrannt und das köstliche Abendessen und das Bier dazu haben mir den Rest gegeben. Ich bin wunschlos glücklich, habe keinerlei Energien in mir und will jetzt nur noch den schönen Ausblick auf das Wolkenmeer unter uns genießen. Ich will mich von der totalen Ruhe und Stimmung des Abends einfangen lassen.

Ich sitze auf einer schlichten Holzbank auf einer Terrasse vor einer Berghütte hoch oben auf einem Felsplateau in 3800 m Höhe, meine Beine sind weit nach vorne und mein Rücken weit nach hinten gestreckt. Fast liege ich auf der Bank. Gemütlich ist diese Stellung nicht, aber nur so kann ich in die weite Ferne sehen. Mein Blick ist nach Westen gerichtet und die tief stehende und untergehende Sonne scheint von unten herauf in die Wolken, die sich unter mir befinden. Gelegentlich öffnet sich langsam ein schmaler Schlitz und die Sonne kann ihre Strahlen direkt zu mir senden. Ansonsten ist alles in indirektes Licht eingehüllt, wie ein Nebel, in dem irgendwo ein großes Lagerfeuer brennt. Die Wolkendecke ist wie Milchglas, das die schnee- und eisbedeckten Bergspitzen unter mir in diffuses Licht und rot eingefärbt.

Allmählich verliert das kräftige und lodernde Rot ihre Kraft. Es kann sich gegen das immer stärker werdende Schwarz nicht mehr verteidigen.

Im Norden ist jetzt langsam der Polarstern zu sehen. Seine Kraft wird stärker und bald gesellen sich weitere Sterne in den Reigen der fernen Sonnen. Unten wird es dunkler und oben heller. Das Unten gibt die Herrschaft an das Oben immer mehr ab. Die Nacht besiegt den Tag. Die Wolken machen wieder etwas auf und tief unten sehe ich ein weitgezogenes Lichtermeer. Die Straßen von Mailand blinken zu mir herauf.

Ich spüre einen kühlen und angenehmen Luftzug. Noch immer bin ich aufgeheizt von den sportlichen Anstrengungen des Tages und der intensiven Sonneneinstrahlung, die untertags herrschte. Eigentlich ist es windstill. Aber der kühle Luftzug kommt von oben. Die angehende Nacht nimmt den hinter mir weit auftürmenden Bergen die Wärme. Von den steilen Eishängen fließt kalte Luft nach unten und erzeugt so den Luftzug. Die herab fließende Kälte mischt sich mit der noch von der Nachmittagssonne aufgeheizten Terrasse.

Es herrscht absolute Stille, kein Lärm von Autos, kein Lärm von Flugzeugen, kein Abendgesang von Vögeln, kein Rascheln von Bäumen und Büschen. Nur mein Herzschlag dominiert die Stille wie das kräftige Schlagen eines Schmiedes auf seinen Amboss. Gedämpft und kaum hörbar nehme ich die Menschen wahr, die sich in der Berghütte befinden.

Ich verspüre immer mehr eine innere unendliche Leere. In Meditionsübungen habe ich solch eine innere Leere nie erreicht. Hier aber geht alles von alleine. Man muss nichts tun, sondern es einfach nur geschehen lassen. Ich fühle mich wie ein Vogel, der seine Flügel öffnet und hoch oben von den sanften Kräften der Natur still und sanft durch die Lüfte getragen wird. Kein Gedanke an die Vergangenheit oder an das, was wir morgen machen wollen. Ich bin vollkommen eingebettet in die Gegenwart, in das Jetzt und Hier. Ich spüre eine tiefe Einheit mit der Natur. Ich fühle mich wie ein Energiewesen, das mit dem universum verschmolzen ist. Lebe ich noch? frage ich mich. Ich spüre meinen Körper nicht mehr. Ich spüre nur noch die Energie in mir.

Jäh werde ich aus dieser Ruhe gerissen. "Günter, wir sollten jetzt ins Lager gehen. Jetzt ist Hüttenruhe."

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