Sonntag, 3. September 2017

Reisetagebuch Wandern in Südtirol, die zweite Heimat der Bayern

Wie nennt man nun ein Pärchen, das am liebsten mit dem Rucksack reist und auf Komfort verzichtet? Er ist im Rentneralter angekommen, sie wird dieses Jahr 60, und sie sind nicht immer einer Meinung? Vielleicht findet sich durch die Beschreibung ihrer Reisen von selbst ein Name?

München, Kufstein, Innsbruck, das vieldurchzogene Inntal,  immer wieder überqueren sie den mächtigen Strom,  er erklärt, "der Inn entspringt im oberen Inntal, das liegt in der Schweiz, dort habe ich schon viele Wanderungen gemacht." Mit den Bergen, muss sie seine Liebe teilen.

Da sind sie sich einig, sie begleitet ihn in die Berge und er führt sie sicher hindurch. Sie sucht nach Menschen und Gschicht`n und er nach der europäischen Idee.

Die Bahn zieht sich das Brennertal hoch, über ihnen die Europabrücke dominiert die enge Schlucht. Sie, "die Bahn fährt langsam", er wäre lieber mit dem Auto gefahren, weise meidet er einen Kommentar. An der Haltestelle in Brixen steigen sie um nach Klosen.  Ihr Kennerblick entdeckt ein Meerschweinchen unter der Kostümjacke einer Dame es sitzt in ihrer offenen Hand.  Wohl ein Arztbesuch?

Sie hat sich eingebildet vom Eisacktal hinaufzusteigen. Die Brennerautobahn ist allgegenwärtig.  Sie gehen entlang der Eisack, der süße Duft der blühenden Linde ist betörend. Das Rauschen des eisblauen Flusses vermischt sich mit dem Rauschen des Autostroms.











Oft hat sie auf der Fahrt nach Italien auf Klosen hinuntergesehen, die alten Kirchtürme, die Dächer und stolzen Bürgerhäuser stehen dicht beieinander. Im Dorfkern ein Wegweiser, Kloster Säben,  es thront über dem Städtchen.  Wie sie die engen Gassen verlassen brennt die Sonne, steile Stufen führen hinauf, in der Hitze werden ihr Schritte langsam. Er tänzelt neben ihr.  Am frühen Nachmittag sind sie die einzigen Wanderer.

Über Wiesenhänge, sonnenhungrigen Weinreben und Obstbäume, steigen sie auf kleinen Teer- und Schotterstraßen und durch kühlen Wald, Meter für Meter den Berg hinauf. Was ist ihr Ziel, nicht weniger als die Bergspitze bei über 2000 Meter Höhe, das ist sie ihm schuldig, aber auch er zahlt einen Tribut, sie hat ihm eine Übernachtung auf halber Höhe abverlangt.

Latzfons liegt bei 1100 Meter, der letzten und höchste Ort am Berghang.  Im Dorfkern die Kirche, ein Lebensmittelladen, ein Gasthaus, zum weißen Hirschen. Sie ist allein im Zimmer, während er unten ein kaltes Bier zischt.  Vom  Balkon, sieht sie dem lautlosen Flug der Schwalben zu, unten das riesige Kloster wirkt klein,  die Eisack ist im Taleinschnitt verborgen. Auf dem Friedhof der Kirche ist jedes Grab mit frischen Blumen und einem schmiedeeisernen Kreuz ausgezeichnet. Letzte Woche war Fronleichnam,  erklärt das die gepflegten Gräber? Sie denkt alle Dorfbewohner können aus den Fenstern ihrer Häuser auf die Ruhestätte ihrer Verwandten und Nachbarn sehen.

Während des Essens, sie vertraut auf die Empfehlung des Chefs, er bleibt bei Schnitzel mit Pommes, ist die Terrasse des Gasthauses belebt mit Rentnern aus Deutschland, die Wein, gutes Essen, Ruhe und viel Natur geniessen. Eine Gruppe junger einheimischer Männer sind beim Kartenspiel, sie findet nicht heraus um welches Spiel es sich handelt. Bevor sie sich schlafen legen, geht sie auf den Balkon, auf jedem Grab brennt ein Licht.








Morgens, nach dem sechs Uhr läuten des Glockenturms lauscht sie zwei Frauen, eine ältere und eine jüngere Stimme, im Zweiklang,  begleitet vom  Tschilp Tschalp der Spatzen, die im Sand ihre Morgentoilette verrichten,  und schläft noch einmal ein.

Aus ihrem Vorsatz möglichst früh die Wiesenhänge hinaufzusteigen ist nichts geworden, sie schwitzt bereits nach den ersten fünfzig Höhenmetern. Der Holler blüht am Wegesrand und in den kleinen Bauerngärten, sie zieht ihren Duft ein. Eine sehr alte Frau kehrt die Veranda eines neurenovierten Bauernhauses.Wie die Alte die Beiden den Weg hinauf kommen sieht, unterbricht sie ihre Arbeit, zögert, schämt sie sich? "Guten Tag", auf den Besen gestützt beantwortet sie den Gruß, "Griaß eich". "Geht es hier hinauf zur Radlseehütte?" Sie bejaht und erzählt, sie sei selbst noch nie oben gewesen, aber immer auf den Almen, lächelt und setzt leiser fort, "wir hatn damols koan Goid." Er sagt, "eine schöne Aussicht hier oben, deutet mit dem Finger auf die mächtigen Felsen in der Ferne klein, die Geisslerspitzen und der Schlern. Die alte Frau lächelt, ja, sagt sie und  "hoaß is, z abens gibt a Gwitter".

Die kleine Rast ist mit dem Gespräch beendet,  die Wiesen sind schon gemäht, ganz oben sieht man eine Teerstraße, dann Wald und wieder Berghänge. Sie zwingt sich nach alt bewährter Methode nur an den nächsten Schritt zu denken. Oberhalb der Teerstraße ein Weiler, ein alter Mann steht im Schatten der Scheune, auch ihn fragen sie nach dem Weg. Er deutet nach oben, natürlich immer nach oben. Die Wiese steht hoch und der Weg ist kaum sichtbar. Der Alte sagt, es sei die letzte ungemähte Wiese, sei viel Arbeit und er könne nur eine nach der anderen mähen. Er schaut in den wolkenlosen Himmel, "z abens gibts a Gwitter".

Sie setzen den Weg fort, ein hoher Baum auf der Hälfte der Wiese spendet den einzigen Schatten, sein Handy läutet, sie lässt sich unter den Baum fallen und rechnet, bisher sind sie vielleicht 250 Höhenmeter hinaufgekommen,  fehlen  immer noch 600 Meter.











Auf dem nächsten Hof wartet ein großer Hund, sie spricht ihn an,"na  Kleiner", er wedelt kräftig, hier sind auch die Hunde freundlich. Ein Heuwagen fährt fast senkrecht den Hang hinauf, oben ein Wanderparkplatz, ein Wegweiser, "Radlseehütte 2 Stunden", sie ist entmutigt. Er bestimmt in guter Laune die Autokennzeichen, deutsche Urlauber und ein paar Südtiroler.

Nach dem Wald, der letzte Hof, kleine Stallungen, Ziegen, ein kleines Königreich für Kinder mit Schaukel, Rutsche und Sandkiste, eine gebückte Großmutter mit ihrem Enkel.  Gibt es hier eine Ferienwohnung,  sie, "ja eine" Im Schatten des Waldes ist die Luft frischer, sie beobachtet die tanzenden Schmetterlinge, nach einer Stunde kommen sie zu den Almen, wieder geht es direkt den Berg hinauf, auf den Almen werden die Wiesen nicht gemäht, er erzählt den alten Witz mit den Schafen "mäh doch selbst".

Rast an einem schlängelnden Bächlein, Füße kühlen, in die Ferne schauen, die Felsenkette im Süden ist mächtig gewachsen, das Tal verschwunden. Er nutzt die Zeit und ließt die Nachrichten aus aller Welt auf seinem Smartphone, sie fotografiert ihn, erklärt sie möchte eine Serie von ihm machen, "mein Arbeitsplätze in freier Natur" er lacht.

Weiter oben sehen sie eine Hütte mit Gastbetrieb und essen die beste Fritattensuppe der Welt, ihre alte Mutter ernährt sich seit Jahre von Pfannkuchensuppen. Früher waren ihre Eltern jedes Jahr im Sarntal in Südtirol , mit Freunden,  immer in der gleichen traditionelle  Ausflugsgaststätte im Tal,  sie hat viele Erinnerungen daran als Kind, Jugendliche und junge Frau bewahrt.

Er beruhigt sie, die meisten Höhenmeter hast du geschafft, im weiteren Verlauf nutzt er die Wegabschneider während sie den Wanderweg Kurve für Kurve artig ausgeht. Wie er auf sie wartet wiederholt sie ihren alten Lieblingsspruch; "Glück ist wenn der Schmerz nachlässt." Da kennt sie sich aus, sie ist Melancholikerin wie ihr Vater.

Sie erreichen die Radlseehütte, dunkle Wolken haben sich zusammengezogen, die große Terrasse mit den vielen frisch geschlagenen Holzbänken und Tischen ist leer. Der Wirt spricht tirolerisch, "hat eppa hunga?






Auf dem Weg hinunter ins Tal bleibt sie wegen jeder einzelnen Blume stehen, schreit ihm nach, die musst du fotografieren. Dann schämt sie sich wegen ihrer lauten Stimme in der stillen Bergwelt. Erst Latschen, dann Föhren Kiefer und Lärchenwälder, welches sind nun die Zirbeln.

Ein Aussichtspunkt, unten klein Brixen, sie erkennt den Dom, rundum im Karree das Altstadtviertel.  Eingerahmt von dem Lauf der Eisack zusammen mit der mächtigen Rienz aus dem Pustertal ist sie ein starker Strom geworden.

Wie sie weiter über die Weiler, Höfe und kleine Ortschaften gehen denkt sie an Reinhold Mesmer, der bekannteste lebende Südtiroler und an Luis Trenker, dem begnadeten Erzähler aus ihrer Kindheit und ob die Heimatliebe zum Fremdenhass führen kann.

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Samstag, 2. September 2017

Die Visegrád-Gruppe - Gruppenbildungen in der EU

Warum ist Visegrád in Ungarn das Sinnbild der sogenannten Visegrád-Länder, die geistige Wurzel der V4-Länder? Um Antworten zu finden haben wir das Gebiet und den Ort besucht.


Wir fuhren mit dem Schiff von Budapest flussaufwärts um das Donauknie herum und stiegen zur Burg von Visegrád auf.

Die EU besteht aus 28 Staaten mit Staaten hoch im Norden wie etwa Finnland oder tief im Süden wie etwa Griechenland. Aber auch in West-Ost-Richtung sind die Staaten weit entfernt, wie etwa Portugal weit im Westen oder Ungarn und Polen weit im Osten. Betrachtet man die Geschichte sieht man die hohen Differenzen und Kulturunterschiede, die in der Vergangenheit oftmals zu kriegerischen Ereignissen geführt haben. Die Staatsgebiete sind nicht selten aus Zufall so entstanden, wie es sich heute darstellt.

Betrachtet man etwa die nordischen EU-Staaten wie Dänemark, Finnland und Schweden, so sind diese über die Ländergrenzen hinaus historisch stark verbunden. Sie denken und handeln daher ähnlich. Ähnlich verbunden sind auch Litauen, Estland und Lettland.

Oder betrachtet man die Ukraine, so ist dieses (bislang) kein EU-Staat, obwohl etwa das Gebiet von und um Gallizien mal ungarisch, mal polnisch oder mal tschechisch war und während der Habsburger Zeit Lemberg für
Österreich-Ungarn eine zweite Säule ihrer Macht darstellte, weswegen Lemberg heute auch oft Klein-Wien bezeichnet wird.

Dies führt dazu, dass viele EU-Staaten über ihre Ländergrenzen hinweg bei vielen zentralen Themen ähnlich denken und handeln. Europa muss daher als ein großes Gebiet vieler kulturell unterschiedlich denkender und handelnder Gruppen verstanden werden, wobei die Gruppenzugehörigkeit nicht an der Staatsgrenze festgemacht werden kann, sondern historisch festzustellen ist.

Die V4-Staaten, oder die sogenannten Visegrád-Staaten

So gibt es eine Gruppe von vier EU-Ländern, die besonders historisch und kulturell verbunden sind, nämlich die Staaten
des sogenannten Mittel-Ost-Europäischen Zentrums. Gemeint sind die V4-Staaten, oder auch die Visegrád-Staaten genannt.

Von Visegrád sind es von Budapest flussaufwärts ca. 3 Std. mit dem Schiff (flussabwärts sind es dann nur zwei Stunden). Kurz vor Visegrád liegt das Donauknie. Nachdem wir das Knie nach links gefahren sind sehen wir den Hügel, auf dem die Burg liegt (Bild rechts).

Unter den Visegrád-Staaten werden Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn verstanden.

Die Historie dieser Burg reicht lange zurück. Die Römer errichteten an dieser Stelle das Kastell Visegrád-Sibrik zur Überwachung der Donaugrenze ihrer Provinz Pannonien. Von hier aus lässt sich die Donau

weit überblicken. Dadurch zeigt sich die strategische Lage des Ortes. Später lebten hier infolge der Völkerwanderung Germanen, Slawen und Hunnen. Bis in das 9.Jahrhundert war
Visegrád Teil des Awarenreiches. Für Ungarn wurde der Ort immer bedeutender.

Einen Meilenstein in der Geschichte von Visegrád stellt das Jahr 1335 dar. Damals war die Burg der Sitz des ungarischen Königs und in diesem Jahr kam es zu einem Gipfeltreffen des Königs von
Ungarn mit den Königen von Polen und Böhmen. Ziel war eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Politik und Handel. Immer wieder war Visegrád Zentrums dieser Staaten genauer dieser Völker für Abstimmungen über das weitere Verhalten. Viele wegweisende Entscheidungen wurden dort gelegt:

In der Antike hieß dieser Ort Pons Navatus. Erst 1009 wurde Visegrád erstmals als Komitatssitz unter seinem heutigen Namen erwähnt, das damit als offizielles Gründungsdatum gilt.

Die noch vorhandenen römischen Befestigungen wurden ausgebaut und verstärkt. Nach dem Ende des Mongolensturms wurde die Burg Visegrád als Teil der Grenzsicherungen entlang der Donau umfangreich erweitert. Im Jahr 1325 verlegte Karl I. seine Residenz von Temesvár nach Visegrád.

Wir hatten viel Zeit, uns beim Eingang tiefer mit der Historie der Burg zu befassen. Denn das Interesse an der Burg war hoch und weil die Schlange an der Kasse lang war und nur eine Person kassiert hat, war die Wartezeit noch länger, die wir gut nützen konnten.

Geistige Wurzel der V4-Staaten in 1335

Ein besonders wichtiges Datum ist 1335. Damals trafen sich der ungarische König Karl von Anjou, Kasimir der Große von Polen

und Johann von Böhmen, der mit seinem Sohn Karl kam. Karl wurde später sein Nachfolger als
 böhmischer König, deutscher König und ab 1355 römisch-deutscher Kaiser Karl IV. Dieses Treffen und die dadurch erfolgte politische und wirtschaftliche Abstimmung stellt heute die geistige Wurzel der V4-Staaten dar.

1408 wurde Buda ungarische Hauptstadt. Dennoch behielt Visegrád seine Bedeutung und wurde weiter ausgebaut.

Im 16. Jahrhundert wurde die Burg von türkischen Truppen erobertet und im 17. Jahrhundert anlässlich ihres Rückzuges zerstört.

Durch die Donau-Dampfschifffahrt wurde das  Donauknie und das Gebirge Pilis-Visegrád ab dem 18. Jahrhundert zum beliebten Ausflugsort.

Das Nationalbewusstsein der Ungarn belebte sich im 19. Jahrhundert neu und Visegrád wurde als Symbol der bedeutenden Geschichte des Landes wiederentdeckt.

Beitritt der V4-Staaten in die EU und der NATO wurde in Visegrád beschlossen

Nach dem Ende des Ostblocks war eine Koordination und Abstimmung der grundsätzlichen Entscheidungen sehr wichtig geworden. So wurde in den 1990er Jahren dort beschlossen, die Region gemeinsam in die EU zu führen. So verpflichteten sich die Staatschefs Ungarns, Polens und der Tschechoslowakei in der Erklärung von Visegrád vom 15. Februar 1991, sich dem politisch-wirtschaftlichen System Europas anzuschließen.

Damals waren es die V3-Länder, weil Tschechien und die Slovakei 1993 noch ein einheitlicher Staat waren. Sie beschlossen auch, ihre Zusammenarbeit auf allen Gebieten auszubauen, wie auch in der Wirtschaft und der Kultur.

Sie beschlossen dort auch den Beitritt in die NATO.

Im November 1998 haben die Staaten ihre Zusammenarbeit intensiviert und bei einem Treffen in Budapest eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit in Form von regelmäßigen halbjährlichen Treffen beschlossen.

Polen, Tschechien und Ungarn traten am 12. März 1999 der NATO bei, die Slowakei (zusammen mit sechs anderen mitteleuropäischen Staaten) am 29. März 2004 (NATO-Osterweiterung).

Am 13.Dezember 2002 wurden die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU (die damals aus 15 Staaten bestand) und acht mitteleuropäischen Staaten (sowie Malta und Zypern) abgeschlossen; sie wurden zum 1. Mai 2004 aufgenommen.

Durch das angespannte Verhältnis zu Russland und die negativen Erfahrungen mit Russland in der Vergangenheit sind Sicherheitsfragen ein wichtiges Themenfeld der Visegrád-Gruppe. In 2011 und in den Folgejahren waren beim V4-Treffen solche Sicherheitsfragen immer Gegenstand der Erörterungen und Abstimmungen.

Zeitweise war die Überlegung der Erweiterung der Visegrád-Gruppe mit Slovenien und Österreich erörtert worden was aber dann insbesonder infolge der ablehnenden Haltung Ungarnverworfen wurde. Als Alternativlösung haben Tschechien, die Slowakei und Österreich im Frühjahr 2015 das Austerlitz-Format ins Leben gerufen. Das erste Treffen in diesem Format fand am 29. Januar 2015 in Slavkov u Brna (Austerlitz) in Tschechien statt.

Am 15. Februar 2016, dem 25. Gründungstag der Gruppe, sagte der tschechische Premier Bhuslav Sobotka, man wolle in Zukunft verstärkt gemeinsam innerhalb der EU auftreten, da "der Einfluss der Mitgliedsstaaten in der EU durch eine Gruppierung vervielfacht" werde.

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Sonntag, 21. Februar 2016

Bild im Parque Nacional del Teide

An einem Novembertag machten wir eine Wanderung in Teneriffa im Parque Nacional del Teide. Es ist dort weites Vulkangebiet. Die Natur versucht hier spärlich, das kahle Land und die hellbraune Vulkanasche mit zartem Grün wieder zu besiedeln. Wir befanden uns auf einer Höhe von ca. 2500 m. Das Wetter war glasklar, die Sonne kräftig, die Luft auf dieser Höhe trocken und kühl. Die Temperatur lag etwa bei 15 Grad Celsius. Aber es wehte kräftiger Wind.

Parque Nacional del Teide
Parque Nacional del Teide
Von hier aus hätte man einen herrlichen Tiefblick, entlang der Ausläufer des Vulkans bis hin zum Ufer und weit über das Meer. Heute aber war alles unter uns mit einer dichten Wolkendecke überzogen. Die Wolkendecke reichte fast bis zu uns herauf. Das erinnerte mich an den Ausblick aus einem Flugzeug, das knapp über der Wolkendecke fliegt. Kräftige Turbulenzen zerstreuten die Wolkenoberdecke, sie franste aus - um in der nächsten Sekunde wieder alles dicht zu machen, bis im nächsten Augenblick der Schleier wieder Teile der Landschaft freigab.

Plötzlich gab die Wolkendecke unter uns einen Blick auf einen Felsenvorsprung frei, der mit diesem zartem Grün spärlich bewachsen war. Das Felsplateau hatte die Form eines rechteckigen Turms, das Plateau nach hinten abfallend.

Der Blick faszinierte mich. Er hatte etwas Mystisches, Geheimnisvolles. Wie in einem Zauber, dessen Aufgabe ist, alles zu verheimlichen, wurde lediglich ein kleiner Ausschnitt dem Betrachter preis gegeben. Will uns dieser Ausschnitt etwas zurufen? War das ein Hilferuf, von dem Daimon befreit zu werden, der das Leben dort in sein düsteres Reich hineinzog? Oder war das ein Ruf der Freude, endlich von diesem Schleier befreit zu sein, durch das schmale Schlüsselloch aus seinem Gefängnis hinauszuschauen und die Welt zu betrachten? Vielleicht ist der Berg ein Monster, der lediglich danach Ausschau hält, fremdes Leben in sein düsteres Reich hineinzuziehen.

Mich faszinierte auch die Komposition der Farben. Das Bild verfügte nur über drei Farben, nämlich das helle Braun für den Felsen und die Vulkanasche, das zarte Grün für die Bäume und Büsche und das milchige Weißgrau des Wolkenschleiers. Die Farben waren abgedämpft und machten das Bild weich.

Die Insel bietet ganzjährig ideale Wandermöglichkeiten. Nähere Informationen zu den Wanderungen auf Teneriffa unter http://www.mountains.de/spanien/kanaren/index.php

Sonntag, 4. Oktober 2015

Flucht und Vertreibung - Warum ich Europa bereise


Die Flüchtlingskrise hat mir Fragen beantwortet, warum ich so gerne Europa bereise und diesen Kontinent noch besser kennenlernen möchte:

Seit Wochen verfolge ich aufmerksam die Berichte zu den Flüchtlingen aus Syrien, die in hoher Anzahl nach Deutschland kommen. Wenn ich ins Büro fahre - ich steige am Hauptbahnhof in München um - sehe ich die Menschen und ihre Gesichter, wenn sie in München mit dem Railjet, einer österreichischen Bahn, ankommen. Müde, aber glücklich und zufrieden, keine sichtbaren Spuren der schweren Strapazen, die sie hinter sich haben. Es berührt mich mit tiefster Freude - und Achtung, Achtung vor den Menschen, die alles zurückgelassen haben, Achtung vor den Menschen hier, die die Flüchtlinge herzlich empfangen.

Große Flüchtlingswelle am 13. September 2015

Die Anzahl der ankommenden Menschen aus Syrien steigt gewaltig. Alle Kapazitäten in München sind erschöpft, die Behörden überfordert. Am Sonntag, den 13. September 2015 lese ich einen Aufruf, dass Matten für die ankommenden Flüchtlinge fehlen, denn jetzt soll die Olympiahalle frei gemacht werden für mehrere tausend Flüchtlinge, die bereits mit dem Zug unterwegs nach München sind. Ich gehe in den Speicher und hole fünf große weiche Gummimatten herunter, die als Gymnastikmatten dienten. Ich schultere den Berg an Matten, fahre nach München, um sie zu spenden. Der Berg von Schlafmatten dort ist bereits sehr groß, Helfer legen mein großes Paket dazu. Ich trage mich in die Liste freiwilliger Helfer ein. Die Liste ist bereits sehr lang.

Angerufen hat niemand, denn am nächsten Tag wurden Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich eingerichtet, so dass die Zahl der Ankommenden stark zurückging. Weitere Helfer wurden jetzt nicht mehr benötigt.

Ich frage mich, was der Grund dafür ist, dass mich das Thema Flucht und Vertreibung so stark bewegt. Ich finde keine Antworten. Ich packe meine Bergschuhe und gehe in die Berge. Ich weiß, dass ich hierbei Antworten finde. Ich steige hinauf, kehre in einer Berghütte ein und als ich wieder im Tal bin, habe ich Antworten. Ich komme mir vor wie Forrest Gump, nur dass ich nicht an einer Bushaltestelle sitze, sondern in den Bergen rumgehe und einem fiktiven Begleiter mein Leben erzähle und was mich bewegt.


Ich hatte schon von Beginn meines Lebens an viel Glück. Wahrscheinlich haben sich irgendwelche mystischen Wesen - ich nenne sie Glückspferdchen - zur Aufgabe gemacht, mich immerwährend mit Glück zu versorgen.

Das Glück fing schon mal damit an, dass der 2. Weltkrieg bereits seit drei Jahren beendet war, als ich das Licht der Welt erblickte. Der Zeitpunkt meiner Geburt war also gut gewählt. Meine ältere Schwester hatte weniger Glück, sie wurde inmitten der stärksten Kriegswirren geboren.

Deutschland war zum Zeitpunkt meiner Geburt eingeteilt in vier Besatzungszonen für die Siegermächte. Ich wurde in der amerikanischen Besatzungszone geboren. Ich wusste dies nicht und es wäre mir damals auch egal gewesen, es gab wichtigeres für mich. Wichtig war nur, dass ich meine Mutter immer um mich hatte - morgens, mittags, abends und nachts.

Geboren in der amerikanischen Zone

Glück war auch - jetzt zeigt sich, dass die Glückspferdchen sehr weise waren - , dass ich nicht in der russischen Zone geboren wurde. Wenn wir in der Ostzone gelebt hätten hätte ich bis zum Mauerfall 1989 viele für meine Entwicklung wichtigen Jahre in einem totalitären Staat leben und dort ausharren müssen, wenn meine Eltern nicht geflüchtet wären, was noch viele Jahre bis zum Mauerbau 1961 möglich gewesen war. Aber sie wären sicherlich geflüchtet, sie waren sehr tatkräftig.

Plötzlich wurde mir bewusst, dass die meisten Menschen, die mein Leben prägten, Vertriebene oder Flüchtlinge waren. Wo ist der Unterschied zwischen Flüchtlingen und Vertriebenen? Ich weiß es nicht. Letztlich ist da aber auch egal.

Erst jetzt fällt mir auf, dass die meisten meiner späteren Mandanten, mit denen ich lang und intensiv zusammenarbeite und sich hieraus viele Freundschaften entwickelten, geflohen sind. Ein besonders tatkräftiger Mandant floh rechtzeitig aus der Ostzone und errichtete hier ein weltweit tätiges Unternehmen. Ein langjähriger Berufspartner, mit dem ich eine eigene Sozietät hatte, erlebte bei der Flucht aus dem Osten als Kind die Bombardierung Dresdens. Viele Freunde aus Weiden in der Oberpfalz wurden aus Tschechien vertrieben. All diese Flüchtlinge schufen hunderte von Arbeitsplätzen und trugen dadurch zu unserem Wirtschaftswunder bei.

Mich faszinierte bei diesen Personen die Entschlossenheit, die Tatkraft und die Akzeptanz Risiken einzugehen, die sie aber stets wohlfein kalkulierten. Allesamt waren sie hochmotiviert, keine Anzeichen einer Sinnkrise und der festen Überzeugung, sie selbst sind ihres Glückes Schmid. Erst jetzt werden mir diese Verbindungslinien zwischen Flucht und Tatkraft bewusst.

Große Flüchtlingswelle bis 1961 aus der Ostzone

Von der großen Flüchtlingswelle aus der Ostzone in die Westzone habe ich nichts mitbekommen. Zum Zeitpunkt des Mauerbaus war ich gerade mal 13 Jahre alt. Ich war wohlbehütet und meine Eltern achteten darauf, dass ich in einer heilen Welt aufwachse, in der es scheinbar keine Probleme, keine schlechten Nachrichten, keine grausamen Erlebnisse gibt. Nichts, selbst Schundhefte wie Micky Maus oder Fix und Foxi hatten mir meine Eltern anfangs verboten, bis sie ihren Widerstand nicht auf Dauer halten konnten. Schundhefte waren damals als Trivialliteratur geächtet, die einer guten Entwicklung eines Kindes abträglich sein würden.

Ich war erst ein halbes Jahr alt, als die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde. Das politische System, die Rechtsstaatlichkeit, die zunehmende Wirtschaftskraft und die Flüchtlinge sollten meiner beruflichen Tätigkeit und meiner persönlichen Entwicklung die wichtigsten Inhalte und Erfolge gaben.

Familie und Staat sponnen sich in einen Kokon ein

Erst sehr viel später wurde mir nach und nach bewusst, was sich damals tatsächlich außerhalb unserer Innenwelt in der Familie abspielte, welche Vergangenheit es gab, die die Gegenwarte prägte. Wir lebten wie in einem Kokon, karg aber weich und in Liebe gebettet, abgeschottet von der realen Außenwelt. Ich wollte mehr über die andere Welt außerhalb unseres Kokons wissen. Ich fragte meinen damaligen Geschichtslehrer, wann wir denn zur ersten Hälfte des 20. Jahrhundert kommen würden. Er sage, dass dies im Lehrplan nicht vorgesehen sei, was bei mir völliges Unverständnis ausgelöst hatte. Die interessantesten Themen wurden also ausgespart! So musste ich mich weiterhin mit dem Mittelalter herumschlagen, was für mich damals so weit weg war wie die Steinzeit. Heute verstehe ich, dass sich auch der Staat zu dieser Zeit in einen Kokon eingrub, um die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts auszufiltern.

Die Frage war nun, warum nicht nur die Schule sondern auch meine Eltern die Geschichte Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von mir fern hielten. Zunächst glaubte ich, dass da bei meinen Eltern nichts Besonderes vorgefallen war, was zu erzählen wert gewesen wäre. Aber mit der Zeit erkannte ich, dass das genaue Gegenteil der Fall war.


Immer mehr wurde mir bei meinen Überlegungen klar, dass meine Eltern mit der Familiengründung erstmals in ihrem Leben Glück fanden und nach einer langen strapaziösen Reise am Ziel ihrer Träume angekommen waren. Zum Schutz dieses Glücks bauten sie dicke uneinnehmbare Schutzmauern um diese Realität, um sie zu verdrängen, um sie dadurch erträglicher zu machen. Es war also der Kokon meiner Eltern, den sie um sich gebaut haben - und ich war Nutznießer dieser abgeschotteten heilen Welt.

Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre - Vater als Frühwaise musste sich um seine minderjährige Schwester kümmern

Ich war schon Jungerwachsener, als ich bruchstückhaft, wie bei einem Puzzle, nach und nach erfuhr, wie das Leben meiner Eltern vor meiner Zeit verlief. Mein Vater verlor bereits als er 15 Jahre alt war seinen Vater, der an Krankheit starb. Mit 21 Jahren verlor er auch seine Mutter durch Krankheit. Diese hat meinen Vater noch rechtzeitig gebeten, seine kleine minderjährige Schwester zu versorgen. Und das alles ereignete sich zur schlimmsten Zeit der Weltwirtschaftskrise. Mein Vater war arbeitslos und zu dieser Zeit eine Arbeit zu finden, war praktisch unmöglich. Erst jetzt wurde mir die Bedeutung der Bilder aus der Weltwirtschaftskrise Anfang der 50er Jahre bewusst, die die langen Schlangen vor einem Unternehmen zeigten, das wenige Arbeitsplätze zu vergeben hatte oder von Menschen mit umgehängten Schildern, dass sie Arbeit suchen. Und zu dieser Zeit sollte mein Vater -gerade dem Kindesalter entwachsen und Vollwaise - sein Versprechen der Mutter gegenüber erfüllen und seine minderjährige Schwester versorgen.

All diese Schwierigkeiten hatte das Schicksal noch damit garniert, dass er als Kind an Kinderlähmung erkrankte und dadurch etwas gehbehindert war. Oder meinten seine Glückspferdchen es gut mit ihm? Denn wegen seiner Gehbehinderung musste er im zweiten Weltkrieg nicht an die Front. 

Welch enorme Kraft man hat, um den Zielen im Leben treu zu bleiben wurde mir erst sehr spät bewusst. Meine Mutter wurde schwer krank, mit 86 Jahren starb sie, und mein Vater - im gleichem Alter - pflegte seine Frau lange mit solch einer Kraft, dass wir Kinder immer Bedenken hatten, er werde das nicht schaffen. Er schaffte es und wurde fast 94 Jahre alt.

Meine Mutter aus einem Bergbauernhof in der Steiermark - kein Platz mehr für alle Kinder

Auch für meine Mutter war die Zeit bis zum Familienglück alles andere als rosig. Sie wuchs als eines von vier Kindern auf einem Bergbauernhof in der Steiermark auf. Die Schule war weit und mühsam und in den Wintermonaten oftmals nicht oder nur schwer erreichbar. Die Eltern meiner Mutter lebten karg, konnten sich aber über Tierhaltung und Anbau selbst versorgen. Voller Einsatz war nicht nur von den Eltern, sondern auch von den Kindern gefordert. Kinderarbeit war also für das Fortkommen der Familie notwendig.

Wie das Leben auf einem Bergbauernhof in den 30er Jahren in der Steiermark gewesen sein muss wurde mir erst bewusst, als ich vor einigen Jahren ein Bergbauernhofmuseum in Tirol in der Wildschönau besuchte. Dort ist ein Bergbauernhof als Museum zu besichtigen, der in den 30er Jahren des vorherigen Jahrhunderts aufgegeben wurde, weil es kein Fortkommen mehr gab. Der Bürgermeister des Ortes organisierte, dass zumindest die jüngeren Bewohner des kleinen Ortes eine Zukunft haben sollten und er organisierte die Auswanderung nach Südamerika, wo ein Ort wie in Tirol errichtet wurde. Dadurch war Arbeit und Fortkommen für die Auswanderer erzielt und für die Zurückgebliebenen reichten die bäuerlichen Erträge.

Die Eltern meiner Mutter hatten Weitsicht. Sie schickten meine Mutter auf eine Haushaltsschule, damit sie alles, was eine Familie braucht, erlernt und damit für einen Ehepartner und eine Familiengründung attraktiv genug ist. So hofften sie, dass sie meine Mutter unterbringen konnten. Das erinnert mich daran, dass es bei den syrischen Flüchtlingen viele alleinflüchtende Kinder gibt, die von ihren Eltern weggeschickt wurden - aus Liebe, um wenigsten den Kindern eine bessere Zukunft geben zu können.

So war auf dem Bergbauernhof kein Platz für meine Mutter. Die Hoffnung ihrer Eltern ging auf. Meine Mutter wanderte 1939 als 26-Jährige aus, indem sie meinen Vater, ebenfalls 26 Jahre alt, aus München heirate und hierher zog.

Schwiegertochter aus Bulgarien

Wie nahe diese Themen in meinem Leben zusammenkommen erfuhr ich durch meine Schwiegertochter. Diese ist in Bulgarien, eines der ärmsten Länder in Europa geboren und aufgewachsen. Die Eltern wollten, dass sie deutsch lernt, um eine bessere Zukunft zu haben, die sie in Bulgarien nicht finden könne. Meine Schwiegertochter machte dies und kam dann nach Deutschland, um zu studieren. Sie schaffte es aus eigener Kraft und ihr war wichtig, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit ohne Heirat erreicht. Erst als sie die geschafft hat, heiratete sie meinen Sohn. Auch bei ihr sehe ich die überaus große Tatkraft.

Wieder zurück in meinem Leben: Irgendwann interessierte mich, wie sich meine Mutter und mein Vater kennengelernt hatten. Mir war nicht klar, wie ein Mann aus München während der dunklen 30er-Jahre ein Mädchen aus einem Bergbauernhof in Graz kennenlernen und dieses dann heiraten konnte. Ich war noch von dem Zeitgeist meines Alters gefangen, wonach erst lange schmachtende Liebesgeschichten abliefen, bevor es zu einer Liebesheirat kam. Meine Mutter sagte nur auf meine Frage, dass sie sich auf eine Annonce hin kennengelernt und in Eglfing bei München getroffen hätten. Das war im Sommer 1939, geheiratet haben sie dann ein halbes Jahr später im Dezember 1939 in München.

Später kam ich auf dieses Thema zurück, weil mich interessierte, wie sich die Liebe bei meinen Eltern entwickelte, die ich als sehr stark empfunden habe. Denn diese haben sich nur einmal gesehen und dann ein halbes Jahr später geheiratet. Die Antwort meiner Mutter war einfach und nüchtern zugleich, was ich viele Jahre lang nicht verstand. Sie sagte, Liebe entwickelt sich erst durch die Beziehung. Nicht Liebe stand also bei meinen Eltern zunächst im Vordergrund, sondern nur der Wunsch einer Familiengründung und die Überzeugung nach dem ersten und einzigen Treffen, dass beide hierfür geeignet sind.

Flüchtlinge sind mutige und tatkräftige Menschen


Als ich nach der Bergtour wieder zuhause war schaue ich mir die Bilder an, die ich vor wenigen Tagen im Münchner Hauptbahnhof gemacht habe. Jetzt sehe ich auch hier die Entschlossenheit der Flüchtlinge, ihre Tatkraft und Risikobereitschaft. Und zwischen den Menschen aus Syrien, die mit Österreichischem Zug in München angekommen sind, sehe ich eine junge Frau. So stelle ich mir meine Mutter vor, wie sie hier 1939 angekommen ist, wie sie lächelt und in tiefster Freude ist, ein neues Leben durch Heirat und Familiengründung mit meinem Vater in München beginnen zu können.

Ich möchte mehr von den Leuten kennenlernen, die ihre Heimat verlassen haben, meist - aus welchen Gründen auch immer - verlassen mussten. Ich erinnere mich an unsere Reisen nach Polen und Tschechien, in die ehemalige DDR, aber auch nach Sizilien, von wo aus viele Gastarbeiter nach München kamen und hier fleißig mitgearbeitet und am wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands mitgewirkt haben. Und ich erinnere mich an unsere Reise an die Lykische Küste in der Türkei. Zu unserer Geschichte von Europa gehören nicht nur alle Länder im Kerneuropa, sondern alle Mittelmeerländer, wie auch die in Nordafrika, also auch Syrien. 

Sonntag, 8. März 2015

Besuch von Lemberg (Ukraine) in der Winterzeit

Bei unseren Wanderungen in Polen im Riesengebirge haben wir uns vorgenommen, noch mehr östlicher zu wandern, insbesondere in den Karpaten. Da haben wir viele Länder zur Auswahl, weil sich die Karpaten mit einer Länge von 1300 km durch sieben Länder ziehen. Lemberg | Lemberg Wir dachten dabei an die Ukraine. Da wollen wir hin, entschieden wir uns in 2014. Aber die Ukraine befand sich politisch in einer schwierigen Ausgangssituation und wir wussten noch zu wenig vom Land, von den Menschen und der Kultur. Hier gleich eine Wanderung durch das Land zu machen war uns dann doch zu kühn. So kamen wir auf die Idee, erst mal ohne Tourenplanung in die Ukraine zu reisen, um ein erstes Gefühl von Land und Leute zu erhalten. Wir waren uns schnell einig, jetzt ging es um die Entscheidung wohin. Die Insel Krim schied aus, weil diese bereits von Russland annektiert war. Lemberg | Weihnachtsmarkt Der Osten der Ukraine schied aus, weil dort Krieg herrschte. Also konnte es nur der Westen sein. Dann war das Ziel schnell gefunden. Lemberg sollte es sein, das war das beste Ziel. Lemberg, auf ukrainisch Lwiw genannt, liegt in der Westukraine und ist gerade mal 80 km von der polnischen Grenze entfernt. Dort war es politisch und militärisch ruhig. Wir waren uns sicher, dass das bis zu unserer Reise auch so bleibt. Und Lemberg liegt im ehemaligen Galizien und war ein wesentliches Zentrum der Habsburger. Deshalb wurde es auch als Klein-Wien bezeichnet. So klein ist Lemberg allerdings heute nicht mehr, es hat eine Einwohnerzahl von einer dreiviertel Million. Aber Wien ist heute mit seinen 1,8 Mio Einwohner mehr als doppelt so groß wie Lemberg, also stimmen die Größenverhältnisse von groß und klein auch heute noch.
Das passte also gut, da uns die Habsburger schon auf vielen Reisen in Österreich, Kroatien oder Südtirol begegnet sind. Lemberg | Weihnachtsmarkt Zudem gehört die Altstadt von Lemberg zum UNESCO-Weltkulturerbe, so dass uns eine Stadtbesichtigung viel zu bieten hat. Und schließlich rundete das sehr günstige Kursverhältnis des Euros gegenüber der Griwna, der ukrainischen Währung seit 1996, unsere Entscheidung ab. Es zeigte sich dann in der Tat, dass das Leben in Lemberg sehr günstig war.
Jetzt blieb nur noch die Entscheidung des wann, also des richtigen Zeitpunktes für die Reise. Da wir am 21.12 auf einem jüdischen Hanukafest waren und am 24.12. Weihnachten feierten, wollten wir diese Festtage ein drittes Mal feiern, nämlich am 06.01. im christlich-orthodoxen Lemberg. Zu diesem Zeitpunkt begann nämlich dort das Weihnachtsfest, weil nach der christlich-orthodoxen Religion die Geburt Christus am 06. Januar war. Der Unterschied zu hier, wo das Weihnachtsfest durch die Katholiken und Evangelisten am 24.12. gefeiert wird, ergibt sich aus der Anwendung der unterschiedlichen Kalender. Lemberg | Weihnachtsgottesdienst Die russisch-orthodoxe und die serbisch-orthodoxe Kirche rechnet weiterhin nach dem älteren julianischen Kalender. Die anderen Christen rechnen nach dem neueren gregorianischen Kalender, der in Europa seit dem Jahre 1582 angewendet wird. Wir reisten also am 06.01. nach Lemberg. Als wir dann an diesem Tag ankamen und unser Quartier direkt am Rande der Altstadt bezogen haben wir als erstes den ausladenden Weihnachtsmarkt und die vielen Menschen gesehen. Vom Pomp und Getöse unterschied er sich nicht von den unseren.
In der Altstadt von Lemberg stehen auf kleinstem Raum die prächtigsten Kirchen. Und die Ukrainer sind sehr religiös. Die Lemberg | Weihnachtsmarkt deutschen Gotteshäuser würden überglücklich sein, wenn hier die religöse Begeisterung nur annähernd so stark wäre wie in der Ukraine. Der große Andrang in den Tagen ab dem 6. Januar erklärt sich auch damit, dass viele Ukrainer von fern angereist waren, um hier das Weihnachtsfest zu feiern, weil Lemberg durch die vielen und prunkvollen Kirchen die besten Voraussetzungen hierfür bot. Und die Weihnachtsmärkte in der gesamten Altstadt sind so dicht gedrängt, dass es letztlich nur ein einziger Weihnachtsmarkt war, der die gesamte Altstadt damit überzog. Wir hatten deshalb schon im Vorfeld mit dem Andrang zu kämpfen, weil sämtliche Hotels und Unterkünfte an ihrer Kapazitätsgrenze waren.
Eine Besonderheit gegenüber Deutschland ist auch, wie die Ukrainer die Heiligen drei Könige feiern. Diese treten zahlreich und mit unterschiedlichem Erscheinungsbild auf - in den Gastwirtschaften, auf den Märkten Lemberg | Heilige drei Könige und auch in den Straßenbahnen und meist sind auch keine Könige zu sehen, sondern Arbeiter, Dienstmädchen und Freiheitskämpfer. Und alle haben eines gemeinsam, dass sie nämlich nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Botschaft verkünden möchten. Wir haben zwar nichts von dem Gesprochenen verstanden, aber die Inhalte sind uns klar Lemberg | Heilige drei Könige geworden, dass nämlich die Ukrainer anlässlich des Weihnachtsfestes ihre Einheit, ihren ukrainischen Stolz und ihren Kampf gegen das ungeliebte Russland proklamierten und ihre Botschaften in den Auftritt der Heiligen drei Könige verpackten.
Apropos Sprache: Eine interessante Erfahrung haben wir dazu gemacht. In der Westukraine wird fast nur ukrainisch gesprochen, das sich offensichtlich stark vom Russischen abgrenzt. In der Ostukraine dagegen, so wurde uns gesagt, wird fast nur russisch und kaum ukrainisch gesprochen. Um so mehr sehen wir seitdem das Spannungsverhältnis zwischen der Ostukraine und der Westukraine und damit das Spannungsverhältnis zwischen der Ostukraine, die zu Russland will und der Westukraine, die zur EU will, klarer.
Eine weitere Besonderheit haben wir noch erlebt. Der Majdan in Kiew, also der zentrale Platz der Hauptstadt der Ukraine als Begriff für die Proteste, lag erst ein dreiviertel Jahr Lemberg | Ausstellung zum Maidan zurück. Überall in Lemberg waren Ausstellungen zum Majdan, mit vielen Bildern und auch viele Gerätschaften, die nach der Räumung des Majdan wegtransportiert wurden und hier besichtigt werden konnten. Ausgebrannte Autos, Plakate, Wurfgegenstände, Schutzvorrichtungen und Fotos von brutalen Übergriffen der Polizei auf die Demonstranten. Auch hier ließ sich deutlich erkennen, dass die Westukraine gegen Russland und für die Europäische Union eingestellt ist. Das kann man bei allen Begegnungen in der Stadt feststellen. An den Weihnachtsmärkten werden Scherzartikel verkauft, die vor allem Putin als den zentralen Gegner erscheinen lassen, bis hin zum Toilettenpapier mit dem Konterfei von Putin.
In den Gaststätten waren Spendenbehälter für die Verwundeteten des Majdan aufgestellt. Die Ukrainer haben, das was deutlich zu Lemberg | Schlossberg spüren, wegen des gemeinsamen Gegners Russland ein hohes Maß von Zusammengehörigkeit und Solidarität, das wir hier in Deutschland so nicht kennen, da uns ein solcher gemeinsam verhasster Feind fehlt.
Und schließlich konnten wir doch noch eine Bergtour machen. Wir haben den Hohen Schloßberg mit den Burgruinen des Daniel von Galizien bestiegen, der der im Zentrum von Lemberg liegt und unmittelbar an die Altstadt grenzt. Ganz so hoch wie er klingt ist er dann aber mit seinen nicht einmal 150 Höhenmetern aber nicht, aber dennoch hat man einen schönen Rundblick über ganz Lemberg.

Montag, 3. Juni 2013

Ein Winter im Spätfrühling

Es ist Ende Mai. Ich schaue aus dem Fenster und sehe nur zwei Farben - eintönig grauer Himmel und dichtes und kräftiges Grün, dem durch das fehlende Licht der Glanz fehlt. Seit vier Tagen regnet es beständig. Stabile Wetterlage nennt man das - im negativen Sinne. Dieses Wetter ist gut für die Arbeit im Haus und im Büro.
Ich denke daran, dass wir vor drei Wochen eine Zweitages-Bergtour gepant und diese erst auf Ende des Wonnemonats Mai gelegt haben, weil wir hoch hinaus wollen, nämlich von Garmisch-Partenkirchen durch das Reintal auf die Zugspitze. Zu dieser Zeit ist auch in den höheren Lagen der Schnee schon weitgehend weggeschmolzen. Da wir von großem Ansturm und schönem Wetter ausgegangen sind haben wir uns frühzeitig die Übernachtung auf der Reintalangerhütte gesichert. Morgen wollen wir starten.
Macht uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung? Nein, denn wir hatten vereinbart, auch bei schlechtem Wetter bis zur tiefer gelegenen Reintalangerhütte zu gehen und unsere Winterausrüstung mitzunehmen. Wir wollen dort entscheiden, ob wir weitergehen oder umkehren. Ein schöner Hütten-Spielabend in den Bergen ist ja auch ein lohnenswertes Ziel.
Am nächsten Tag ist es so weit, wir starten in Garmisch-Partenkirchen am Skistadion. Mein Gott, ist das Wetter scheußlich. Es regnet ohne Unterbrechung und es ist kalt. 5 Grad Celsius zeigt das Thermometer!
Wir lassen uns nicht entmutigen, ziehen unsere warme Kleidung an, verstauen die Schneeschuhe auf unseren Rucksäcken und klappen die Regenschirme auf. Wir sind eingepackt wie eine Schnecke in ihrem Haus.
Der Weg ist leicht, aber lang. Wir unterhalten uns und sind glücklich, dass wir losgegangen sind. Nach gut fünf Stunden Gehzeit kommen wir an der Hütte an, es schneit leicht. Die Wirtsleute sind glücklich, dass wir gekommen sind und nicht abgesagt haben. Wir sind die einzigen Gäste.
Am nächsten Morgen starten wir, es schneit noch immer, die Wolken hängen tief. Zu Zweit wollen wir zu der um 700 m höher gelegenen Knorrhütte gehen. Die anderen gehen zurück nach Garmisch-Partenkirchen. Bald wird der Schnee tiefer und wir legen die Schneeschuhe an. Wir kommen jetzt in die Wolken. Diese werden immer dichter. Die Sicht beträgt gerade mal 30 m. Ich gehe vor. Ein Weg ist nicht sichtbar und auch keine Markierung, so dass ich auf mein Gefühl, auf meine innere Navigation angewiesen bin, um den rechten Weg zu finden. Jeder Schritt ist ein Abenteuer. Es ist hell, aber man sieht keine Erhebung oder Vertiefung im Schnee. Man weiß nicht, wo man hintritt. Der Blick zum Boden und zum Himmel unterscheiden sich nicht. Keine erkennbaren Konturen. In jede kleine Vertiefung stolpert man hinein. Man muss den Berg spüren und schnell reagieren, um nicht hinzufallen. Denn ein Aufstehen aus dem Tiefschnee ist immer sehr mühsam und kräfteraubend. In einer solchen Situation ist man eins mit dem Berg, mit der Natur verschmolzen.
Jetzt sind wir seit gut zwei Stunden unterwegs. Ich habe ein gutes Gefühl, dass wir richtig sind und die Knorrhütte finden werden. Wir gehen weiter, es ist anstrengend. Trotz Schneeschuhen sinke ich oftmals bis zu den Knien in den Neuschnee ein. Jeder Schritt durch den tiefen Schnee verzehrt Kräfte. Immer wieder öffnet sich der Nebel etwas und man hat manchmal für kurze Zeit eine Sicht von 100 bis 200 m. Plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir richtig sind. Müssen wir mehr nach links oder geradeaus hinauf oder eher noch mehr nach rechts? Wenn wir die Knorrhütte nicht in einer Entfernung von maximal 100 oder 200 m treffen, dann gehen wir vorbei ohne es zu merken. Dann bliebe uns nur noch der Rückweg auf unseren Spuren, die allerdings durch den ständigen Neuschnee immer schwächer werden. Ich hole die Karte heraus und versuche, das innere Bild des zurückgelegten Weges mit der Karte abzugleichen. Die Unsicherheit bleibt. Ich entscheide mich für den Weg eher nach rechts. Ich bin stark konzentriert, irgendwelche Zeichen zu sehen, die mir die Entscheidung erleichtern.
Als sich der Nebel kurzzeitig wieder lichtet sehe ich etwa 50 m höher eine Stange herausragen. Das muss wohl eine Orientierungsstange für den Weg sein. Ich suche einen Aufstieg, an dem keine Lawinengefahr besteht. Auf einer langgezogenen Felsnase klettern wir hinauf zu der Stange. Der Hang ist sehr steil und wir gehen auf allen Vieren. An den Felsen können wir uns gut festhalten. Die Schneeschuhe krallen sich in Fels und Schnee.
An der Stange angekommen stelle ich fest, dass wir uns auf einer Hochfläche befinden. Hier liegen große Felsen, die teilweise bis vier Meter hoch sind. Mein inneres Gefühl macht einen Luftsprung. Wenn hier so große Felsen liegen, dann bedeutet dies, dass ein gutes Stück weiter Felswände sein müssen, aus denen diese herausgebrochen sind. Hinter der Knorrhütte befinden sich hohe Felswände, wie aus der Karte zu entnehmen ist. Da die Felsen aber nicht weiter heruntergerollt sind, bedeutet dies weiter, dass wir uns auf einer größeren Hochebene befinden. Das deutet darauf hin, dass auf dieser Hochfläche die Knorrhütte stehen müsste. Ich gehe gerade aus nach oben. Ich sehe nichts, aber ich merke, dass ich leicht ansteige. Nach etwa 10 Minuten Gehzeit lichtet sich plötzlich der Nebel für kurze Zeit und ich sehe unscharfe Konturen, die wie ein großes Berghaus aussehen. Ich gehe weiter und tatsächlich: die Knorrhütte liegt vor uns. Geschafft, gefunden!

Montag, 20. Mai 2013

Impressionen aus dem Naturpark Monti Sibillini

Ich habe viele Berggebiete in Europa bereist, aber die Monti Sibillini haben einen völlig neuen und gleichsam tiefen Eindruck auf mich hinterlassen. Wir sind Mitte Mai hierher gereist, wo es noch regenreich ist und das Wasser der Natur den richtigen Treibstoff für ihr Wachstum liefert. Die Berge sind allesamt mit grünem Samt überzogen. Nichts wird ausgelassen, die einzigen Unterschiede erkennt man in der Fülle der Grüntöne. Da kommt mir in Erinnerung, dass mir vor längerer Zeit jemand erzählt hat, dass es viele hunderte Grüntöne gebe. Ich war damals ungläubig erstaunt. Jetzt habe ich es selbst erlebt, wie zahlreich die grünen Farben sein können, etwa vom Schilfgrün über das Froschgrün hin zum Grasgrün. All diese Grüntöne und hunderte mehr finden sich hier in den Monti Sibillini.

Rasenmäher werden hier nicht gebraucht. Das Grün wächst nicht höher als ein paar Zentimeter. Kein hohes Gras, wie wir es aus den oberbayrischen oder tiroler Berghängen kennen, bei denen mehrmals im Jahr der Bauer mit der Sense kommen muss. Aber auch kein Moos oder sonstige Gewächse, die das Grün stören. Wie ein von der Natur angelegter Golfplatz, aber in unvorstellbar großen Ausmaßen.

In diesem Grün fühlen sich die Bergblumen offensichtlich sehr wohl. Sie wachsen in einer großen Fülle, mit gelben, weißen, blauen, roten oder violetten Farben, ohne Angst haben zu müssen, dass ihnen das Licht von anderen Pflanzen weggenommen wird.

Ganz besonders wird die Grazie des Farbenspiels verstärkt durch die weichen Rundungen der Berge und Hügel, die etwas weibliches vermitteln. Nur gelegentlich ragen aus dieser Formation eher männlich geprägte harte Felslandschaften mit kargen und eintönigen Farben der verkarsteten Abhänge und Felsaufbauten.

Die Bergformationen und der Bewuchs lässt die Umgebung wie fremde Landschaften erscheinen, kein Baum, kein Strauch, kein Haus und keine sonstige künstliche Erhebung, die das Formenspiel der Natur unterbrechen würde. Das Gebiet ist dünn besiedelt, nur selten ein Eingriff durch Menschenhand. Kein Stadel, keine Schutzhütte, nichts - Komponist der Gestaltung ist hier die Natur.

Zurückhaltend ist die Fauna. Vereinzelt sieht und hört man Lerchen singen und fliegen oder einen Kuckuck schreien. Gelegentlich können wir auch Greifvögel beobachten, die im Himmel stehen, um etwa Mäuse ausfindig zu machen. Zahlreich sind die hinterlassenen Spuren der Wildschweine, wenn sie die Wiesen umgraben, um nach Wurzeln zu suchen. Die Schweine selbst sind kaum sichtbar. Das ist auch klug, denn der Mensch ist der größte Feind der Wildschweine und drauf und dran, mit seiner Knarre solche zu erlegen. Ein trauriges Beispiel zeigen die Straßen in Norcia mit ihren zahlreichen toten Köpfen von Wildschweinen, die auf Holzbretter genagelt in die Straße hineinschauen. Wie armseelig und verroht wirken hier die Menschen, die gedankenlos die Trophäen dieser Wildtiere öffentlich zur Schau stellen.

Es bewegt tief, frei laufenden Pferden zuzusehen. Kein Zaun, keine Mauer, nichts, was sie hindern würde, weit weg zu laufen. Die Herde wird nur durch den Wunsch nach Geselligkeit mit anderen Artgenossen zusammengehalten. Dazwischen gesellen sich die jungen Fohlen, die wie kleine Kinder überschäumend mit ihrer Energie umgehen, indem sich springen, sich wälzen, hinlegen, um sofort wieder aufzuspringen, um anderen Fohlen nachzulaufen um mit diesen zu spielen.

Besonders schön ist die schlichte Ausstattung der Infrastruktur der Gegend. Nichts Aufdringliches. Keine Kioske, die wie in anderen touristischen Gebieten den Tourist mit unsinnigem Schabernack und Schnickschnack abzocken wollen. Hier sind die Natur und der Mensch noch eins.

Ich frage mich, wie stark sind die Kräfte, die diese Harmonie stören wollen. Es gibt hier ein eigenes Skigebiet, das nicht in diese Gestaltung der Natur hineinpasst. Und Schnee gibt es auch nicht jedes Jahr. Wer hatte also solche abstrusen Ideen und was waren die Beweggründe? Den Machern dieser Bauten fehlte es jedenfalls am sensiblen Einfühlungsvermögen in die Besonderheiten dieser Schönheiten in diesem Gebiet. Ein Abriss aller vorhandenden Skianlagen wäre die vernünftigste aller Optionen.

Diese Harmonie der Natur mit sich selbst strahlt auf die hier verweilenden Menschen aus, egal ob sie hier zuhause sind oder sich nur im Urlaub befinden. Sie sind freundlich und zeugen von einer tiefen Zufriedenheit, die sie bei jeder Gelegenheit zeigen.

Aber da gibt es noch eine andere Welt in dem Naturpark, die Welt oben, beispielsweise den Monte Vettore, der mit einer Höhe von 2.476 m der höchste Berg der Monti Sibillini ist. Die felsigen Höhen, das rauhe Klima, der langanhaltende Schnee und die weitgezogenen Lawinenhänge - all das kennen wir aus vielen Berggebieten in Süddeutschland und in Tirol.

Jeder Naturliebhaber kommt also hier auf seine Kosten. Ein Urlaub in den Monti Sibillini ist daher von Herzen zu empfehlen.
.... Überblick über die Monti Sibillini